Stirb, Romeo! by Stefan Keller

Stirb, Romeo! by Stefan Keller

Autor:Stefan Keller
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Gmeiner-Verlag
veröffentlicht: 2016-05-19T16:00:00+00:00


Ein sanftes Rucken an der Schulter weckte Vera. Sie schlug die Augen auf und sah ins Yannicks Gesicht. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie gerade einmal zwei Stunden geschlafen hatte.

Rasch packten sie ihre Sachen und verließen die Pension Schubert. Vera setzte die Sonnenbrille auf, obwohl es bewölkt war und bereits dämmerte. Dieses Mal nahmen sie kein Taxi. Yannick brachte sie zu Fuß zu einer Straßenbahnhaltestelle in der Nähe. An einem Automaten löste er eine Fahrkarte.

»Am Hauptbahnhof kannst du die Vorgebirgsbahn oder die Rheinuferbahn bis Köln nehmen. Die nötigen Papiere für den Transitzug nach Ostberlin findest du im Gepäck.« Er deutete auf die Reisetasche. »Schau dir alles genau an!« Er beugte sich nach vorne, Vera erwartete einen Kuss, doch er flüsterte ihr etwas ins Ohr. »… und präg dir deinen neuen Namen ein.«

»Kommst du nicht mit?«, fragte Vera erstaunt.

Yannick senkte verlegen den Blick. »Das ist zu riskant. Ich reise auf einem anderen Weg nach Ostberlin. Außerdem muss ich noch ein paar Dinge erledigen.«

Als die Straßenbahn um die Ecke bog und wegen eines Lastwagens bimmelte, der die Schienen versperrte, küsste er sie. Sie presste sich an ihn, wollte ihn nie wieder loslassen.

Schließlich ging sie die zwei Stufen hoch in die wartende Bahn, setzte sich auf die Holzbank hinten im Waggon. Als sie sich umdrehte, um Yannick zuzuwinken, war er bereits verschwunden. Enttäuscht wandte sie sich nach vorne, sah sich um. Keiner der anderen Fahrgäste beachtete sie. Sie nahm die Sonnenbrille ab und steckte sie in die Reisetasche, die sie mit ihrer Handtasche neben sich auf den freien Platz gestellt hatte. In der Bahn war die Beleuchtung bereits angeschaltet. Es wäre albern und womöglich auffällig gewesen, die Brille weiter zu tragen.

Am Hauptbahnhof stieg sie in einen der Wagen der Vorgebirgsbahn um, die zwischen Köln und Bonn verkehrte. Wieder setzte sie sich in die letzte Reihe. Es fühlte sich sicherer an, die anderen Passagiere im Blick zu behalten. Sie holte die Dokumente hervor, von denen Yannick gesprochen hatte. Es war das Beste, sich mit solchen Dingen abzulenken. Papierkram und Verwaltung. Es erinnerte sie an die Arbeit, der sie gestern noch nachgegangen war. Heute war sie nicht im Büro erschienen und wurde stattdessen als Mörderin gesucht. Die Stimme ihrer Mutter klang in ihrem Kopf: ›Aus dir wird nie was, du verpfuschst dein Leben, bist zu nichts zu gebrauchen.‹

Sie verscheuchte die Gedanken mit einer unbewussten Handbewegung und betrachtete die Unterlagen: Reisepass, Personalausweis, sogar an einen Führerschein hatte man gedacht. Auf allen drei Ausweisen prangte das gleiche Passfoto von ihr. Eines der Bilder, das Maximilian vor ein paar Stunden aufgenommen hatte. Wie einfach man an falsche Papiere gelangte.

Wie sehr sie sich mit der Zeit wohl verändert hatte?, fragte sie sich. Sie wollte das überprüfen, suchte in ihrer Handtasche nach ihrem richtigen Personalausweis. Er war verschwunden. Genauso wie alle übrigen Dokumente, die sie besessen hatte. Ihre Existenz basierte nun auf dem Namen, der auf den neuen Papieren stand: Friederike Engels. Dämlicher Name, fand sie.

Erneut durchsuchte sie ihr Gepäck nach Spuren ihrer bisherigen Identität, doch fand nichts.



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